75 Jahre Naturschutzgebiet Volkmarsberg

Vor 75 Jahren wurde der »Hausberg« Oberkochens unter Naturschutz gestellt. Die Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins begeht dieses Jubiläum mit einem Fest auf dem Volkmarsberg am Sonntag, 22. September 2013. Hierzu sind alle Bürgerinnen und Bürger herzlich eingeladen.

Bereits vor dem Erlass des Reichsnaturschutzgesetzes am 26. Juni 1935 wurde das rund 68,1 Hektar große Gebiet rund um den Volkmarsberg als sogenannter »Bannwald« von der damaligen Gemeinde Oberkochen unter besonderen Schutz gestellt. Mit Verordnung vom 29. Juli 1938 wurde der Volkmarsberg schließlich offiziell unter Naturschutz gestellt. Er ist damit eines der ältesten Naturschutzgebiete Baden-Württembergs.

In früheren Jahrhunderten wurde der Volkmarsberg größtenteils landwirtschaftlich genutzt. Noch heute dient das Schutzgebiet als Schafheide. Mensch, Tier und Natur haben daraus eine einzigartige Kulturlandschaft geschaffen, die von Wacholderheiden geprägt ist und früher typisch war für die Schwäbische Alb. Erst im 19. Jahrhundert wurden Teile des Gebiets aufgeforstet. Heute sind rund zwei Drittel des Naturschutzgebiets mit Wald bedeckt. Das restliche Drittel muss durch Schafbeweidung und durch regelmäßiges Mähen offen gehalten werden. Nur so können die Wacholderheide und die damit verbundene Kulturlandschaft erhalten werden.

Die Wacholderheide auf dem Volkmarsberg wird auch dank Schafen erhalten

Am 12. November 1888 wurde der Schwäbische Albverein in Plochingen gegründet. Bereits 1891 gab es in Oberkochen fünf Männer, die sich dem Hauptverein angeschlossen hatten, darunter auch der damalige Schultheiß Oberkochens, Johannes Bezler. Sie bildeten eine sogenannte »Vertrauensmännerschaft«. Es war ein loser Zusammenschluss aller in einer Ortschaft wohnenden Vereinsmitglieder, die von einem Vertrauensmann betreut wurden. Erst später, nämlich ab 1895, drängte der Hauptverein darauf, sogenannte Ortsgruppen zu bilden.

Die daraufhin gegründete Ortsgruppe Oberkochen des Schwäbischen Albvereins hat sich bis heute dem Schutz und Erhalt des Naturschutzgebiets Volkmarsberg verschrieben. Mit großem Aufwand wird z.B. die Wacholderheide alljährlich gemäht und gepflegt, wofür vor allem die Holzmachergruppe verantwortlich zeichnet. Aber auch externe Gruppen, wie z.B. die Auszubildenden der Carl Zeiss AG, leisten einen regelmäßigen Beitrag zur Pflege des Naturschutzgebiets.

Eine seltene alte Postkarte mit einem Bild der ersten Schutzhütte auf dem Volkmarsberg
(Quelle: Heimatverein Oberkochen)

Bereits am 5. Oktober 1924 wurde eine von der Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins errichtete Blockhütte auf dem Volkmarsberg eingeweiht. Sie war der Vorläufer der heutigen Schutzhütte.

Am 25. Mai 1930 wurde dann der in den Jahren 1929 und 1930 gebaute Aussichtsturm eingeweiht, der seither den Volkmarsberg »krönt« und ein beliebtes Ausflugsziel darstellt. Er ist in gewissem Sinn zu einem Wahrzeichen Oberkochens geworden.

Der Volkmarsbergturm im Winter (Foto: Gerd Keydell)

Der Volkmarsberg, so wie er sich heute darstellt, ist das Resultat der Arbeit vieler Beteiligter. Natürlich trägt die Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins hieran einen großen Anteil. Daneben leisten aber auch der staatliche Naturschutz, die staatliche Forstverwaltung und natürlich die Stadt Oberkochen selbst einen erheblichen Beitrag dazu, um die Kulturlandschaft des Volkmarsbergs zu bewahren.

Nach diesem Rückblick wäre eine Vorausschau ganz interessant. Wie sieht denn die Zukunft des Naturschutzgebiets Volkmarsberg und der Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins aus? Auf eine ähnliche Frage, nämlich die Zukunft des Schwäbischen Albvereins, ging der Vorsitzende, Prof. Dr. Werner Mezger, in seiner Festrede anlässlich des 125-jährigen Bestehens des Schwäbischen Albvereins ein, die er beim Festakt im Neuen Schloss in Stuttgart am 4. Mai 2013 hielt. Ausgehend von den drei Kulturdimensionen, nämlich Zeit, Raum und Gesellschaft, betrachtete er den gesellschaftlichen Wandel und Umbruch in der heutigen Zeit.

Noch nie stand zum Beispiel den Menschen objektiv so viel Zeit zur Verfügung wie heute. Niemals zuvor war die Lebenserwartung so hoch. Viele Maschinen und Geräte erleichtern uns das Leben und »sparen« uns Zeit. Gleichzeitig empfinden wir subjektiv, noch nie so wenig Zeit gehabt zu haben wie heute. Zeit wurde in früheren Generationen als etwas Zyklisches, Wiederkehrendes erfahren, das stark mit der Natur verbunden war. Das Leben der Menschen und die Zeit orientierten sich an diesen Zyklen: Tag und Nacht, Aussaat, Regenzeit, Sommer, Ernte, Winterhärte.

Heute wird Zeit als bloße messbare physikalische Größe, quasi als Zeitreihe empfunden, an deren Ende unweigerlich der Tod steht. Für uns hat die Zeit völlig ihre Rhythmen verloren. Wir machen die Nacht zum Tag, wir vermischen Arbeit mit Freizeit, wir setzen uns immer mehr unter Druck, selbst in der Freizeit. Der Leistungsdruck, unter dem wir stehen, ist riesig. Oft steht am Ende der Herzinfarkt, der genau gesehen nichts anderes ist als ein »Zeitinfarkt«. Gesellschaften ohne unseren Zeitdruck kennen dieses Phänomen gar nicht.

Die zweite Kulturdimension, der Raum, hat sich ebenfalls verändert. Wir leben, arbeiten und denken global. Die Welt ist kleiner geworden. Mit hohen Geschwindigkeiten legen wir in kurzer Zeit große Distanzen zurück. Moderne und schnelle Fahrzeuge und Verkehrsmittel ermöglichen es uns, binnen weniger Stunden von Stadt zu Stadt, von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent zu reisen. Ereignisse, die irgendwo auf der Welt geschehen, können wir über Internet und Fernsehen beinahe hautnah miterleben. Katastrophen, Kriege und Terrorakte haben unmittelbare Auswirkungen auf unser Leben vor Ort. Der Globus reduziert sich so auf Wohnzimmergröße, und wir verlieren das natürliche Gefühl für Entfernungen, Räume und Weiten.

Auch die Art und Weise, wie wir uns im Raum bewegen, hat sich verändert. Im Zeitalter von GPS und Navigationsgeräten wählen wir unsere Wege nicht mehr selbst, sondern lassen uns führen. Statt selbst zu suchen und zu finden, lassen wir uns bequem gängeln und folgen beinahe blindlings elektronischen Systemen.

Je kleiner die Welt auf diese Weise wird, desto mehr verlieren wir unsere kulturelle Identität und Vielfalt. Wir kaufen z.B. übers Internet ein. Wir lesen keine Zeitung mehr, sondern beschaffen unsere Informationen über Facebook, Twitter und Co. Hamburger und Cheeseburger gibt es inzwischen überall. All dies bewirkt, dass unsere lokalen Strukturen und Eigenheiten verloren gehen und den Prozess beschleunigen, der als »McDonaldisierung der Welt« bezeichnet wird.

Bleibt noch die dritte Kulturdimension: die Gesellschaft. Sie ist heute mobiler, flexibler, vielfältiger und offener geworden, aber auch fremder. Längst gilt auch für Oberkochen, dass nicht mehr jeder jeden kennt. Selbst die übernächsten Nachbarn sind uns oftmals unbekannt oder gar fremd. Die Mobilität und die immer kleiner werdende Welt würfeln uns durcheinander, und der Zustrom von Migranten zwingt uns zur Begegnung mit anderen Kulturen, ob wir wollen oder nicht. Hinzu kommt der Zerfall bisher stabilisierender Gesellschaftsstrukturen. Ob Kirchen, Vereine oder Familien: die bisherigen Strukturen und Ordnungen lösen sich auf, Brauchtum wird als altmodisch empfunden, Werte gelten nicht mehr und Erziehung findet nur noch selten statt, weil Regeln und das Sich-Einfügen als Zwang missverstanden werden.

Hinzu kommt eine immer stärkere Individualisierung der Gesellschaft. Individualität geht vor Gemeinschaft. Dies führt zu einer zunehmenden Ich-Bezogenheit der Menschen. Diese Egoismen führen zu starken sozialen Verwerfungen. Die moderne Hirnforschung bestätigt, dass junge Menschen oftmals nicht mehr gesellschaftsfähig und nur noch mit sich selbst »kompatibel« sind. Grundlegende soziale Kompetenzen sind bereits verloren gegangen.

Was bedeutet das alles letztendlich für den Volkmarsberg und den Schwäbischen Albverein? Zunächst einmal ist festzustellen, dass es immer weniger Menschen gibt, die Verantwortung für unsere Landschaft empfinden und zu ihrem Erhalt beitragen. Sie ist für viele nichts anderes mehr als eine Ressource, die man eben nutzt. Die Holzmachergruppe der Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins kann ein Lied davon singen. Nur noch wenige sind bereit, das Naturschutzgebiet rund um den Volkmarsberg ehrenamtlich zu pflegen. Auch das Freizeitverhalten hat sich verändert und wird zunehmend individualisierter. Es ist die Abkehr von der geplanten gemeinsamen Unternehmung hin zum oftmals per Internet oder Smartphone eingefädelten Spontanentscheid. Oft verbindet sich damit eine Erlebnis- oder Eventkultur, bei der es nur noch Konsumenten gibt. Wandern dagegen gilt als »uncool«.

Die modernen Trendsportarten degradieren die Landschaft oftmals zum bloßen Sportgerät. Ein Beispiel hierfür ist das Mountainbiking, wo man eigentlich gerade dort Fahrrad fährt, wo es jeder Vernunft widerspricht, auch im Naturschutzgebiet Volkmarsberg. Es ist das sportliche »Trotzdem«, bei dem das »Ich« vor die anderen gesetzt wird, in bewusster Opposition zur Natur. Wer denkt da schon an die Narben, die in die Natur geschlagen werden oder an kaputtgefahrene Waldwege, die ganz selbstverständlich von irgendjemandem repariert werden?

Die Mitgliedschaft und vor allem die ehrenamtliche Mitarbeit in Vereinen, auch im Schwäbischen Albverein, werden von manchen als Einschränkung der Individualität und der persönlichen Freiheit empfunden. Die Menschen wollen sich heute nicht mehr binden, und sie wollen sich auch nicht mehr in gemeinschaftliche Strukturen einbinden lassen.

All das ergibt zunächst einmal ein düsteres Bild, und es scheint so, als ob es für den Volkmarsberg, den Schwäbischen Albverein und seine Ortsgruppe in Oberkochen genauso wenig Zukunft gäbe wie für viele andere Vereine. Andererseits gibt es in dieser individualisierten Welt, in der Werte und Strukturen sukzessive verschwinden, immer mehr den Wunsch vieler Menschen, wieder Zyklen, Halt und soziale Strukturen zu finden, in denen man aufgehoben ist und Orientierung hat. Eine intakte Landschaft und Natur sind dazu unerlässlich, denn sie sind die Grundlage unseres Lebens.

Auch der Schwäbische Albverein ist im Grunde genommen eine Gegenbewegung zu den oben beschriebenen Auflösungstendenzen in unserer Gesellschaft. Er steht inmitten von Gleichmacherei und Globalität für lokale Besonderheit und Identität. Er steht für Toleranz und Gemeinschaft, und er sorgt für Verortung. Dies gilt auch für viele andere Vereine, die wir eigentlich als ein besonderes Kulturgut sehen und unterstützen sollten.

Der Volkmarsberg und der Schwäbische Albverein machen uns die Einzigartigkeit und Vielfalt unserer schönen Landschaft und Natur in Oberkochen bewusst. Aus diesem Grund brauchen wir beide, auch und gerade in der Zukunft.

In diesem Sinne nehme ich das 75-jährige Bestehen des Naturschutzgebiets Volkmarsberg zum Anlass, mich bei den zahlreichen Mitgliedern der Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins für ihre ehrenamtliche Arbeit zur Pflege und zum Erhalt unseres Naturschutzgebiets zu bedanken. Gleichzeitig hoffe ich, dass es uns auch in Zukunft gemeinsam gelingen wird, diese einzigartige Kulturlandschaft für unsere Nachkommen zu erhalten und hierfür möglichst viele Mitstreiter zu finden.

Peter Traub
Bürgermeister


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