Auf Einladung von Dr. Valentin Salzmann, einem praktischen Arzt aus Esslingen, traf sich am Nachmittag des 13. August 1888 eine illustre Gesellschaft, Vertreter verschiedener Verschönerungsvereine, um zu beraten, wie man die Arbeit der bestehenden Verschönerungsvereine am Albtrauf gemeinschaftlich verbessern könne.
Dr. Valentin Salzmann |
Diese Vereine hatten sich damals die Verschönerung des Ortsbildes von Städten und Gemeinden, vor allem auch die Erhaltung von historisch bedeutsamer Substanz. Um Ziel ihrer Arbeit gesetzt. Als weitere Aufgabe suchten Sie den Sinn für die Natur und die landschaftlichen Schönheiten und Besonderheiten zu wecken. Dazu diente unter anderem auch die Anlage von Fußwegen.
Der eigentliche Anlaß für das Treffen in Plochingen aber war Geldmangel: Der Verschönerungsverein Kirchheim wollte den Teckturm erbauen und bekam erhebliche Schwierigkeiten - das gab es also auch schon vor 100 Jahren, in der sogenannten »guten alten Zeit«. Dieser hatte deshalb im Mai 1888 an die Vorstände der benachbarten Verschönerungsvereine geschrieben und um Mithilfe bei der Sammlung von Beiträgen für den Turm gebeten.
Diese Anregung fiel bei Dr. Valentin Salzmann vom Verschönerungsverein Esslingen (dieser Verein war l 867 von ihm gegründet worden) auf fruchtbaren Boden. Er teilte mit, daß er regelmäßige Beratungen der von gleichen Zielen erfüllten Vereine für zweckmäßig halte. Außerdem habe sich ihm bei Albbergtouren der Gedanke aufgedrängt, wie vorteilhaft es bei den Arbeiten der Vereine wäre, wenn man enger zusammenarbeiten würde. Es habe ihm zudem die schon länger erfolgte Gründung des Schwarzwaldvereins Gelegenheit gegeben, seinen Plan eines Albvereins nicht länger zu verschweigen.
Im Laufe der Verhandlungen kam man überein, nicht nur das Gebiet vom Fils- bis zum Ezachtal, sondern den gesamten Albtrauf vom Ipf bis zum Heuberg in die Verbindung einzubeziehen. Oberförster Muff stellte zudem den Antrag, nicht nur das Vereinsgebiet zu erweitern, sondern auch die Aufgaben über die Tätigkeit der bisherigen Verschönerungsvereine hinauszuführen, die Alb zu erschließen, und die Kenntnisse Ihrer Schönheit weit zu verbreiten. So kam anstelle der zunächst geplanten reinen Zusammenarbeit der Verschönerungsvereine die Gründung des Albvereins zustande.
Aber auch in anderen Landesteilen Deutschlands hatte sich unter dem Einfluß der Romantik immer mehr Natur- und Landschaftsgefühl unter den Menschen geregt, und es hatte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das planmäßige Wandern, also das Wandern um des Wanderns Willen, insbesondere aus dem gehobenen Mittelstand heraus entwickelt. Bereits 1864 wurde der Badische Schwarzwaldverein gegründet, dem vor allem Ende der sechziger Anfang der siebziger Jahre weitere Wandervereine wie der Taunusclub, der Verschönerungsverein Siebengebirge oder der Rhönclub folgten. Es war also eine richtige Bewegung, die damals Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Und um diese Bewegung richtig zu verstehen, muß man sich einmal in jene Zeit vor hundert Jahren zurückversetzen.
Es war die Zeit der aufkommenden Industrialisierung. Die Natur wurde von den aufkommenden Industriebetrieben nur an der Nützlichkeit für den Menschen, oder besser gesagt, für das Unternehmen oder den Unternehmer, gemessen. Die Verfechter dieser Auffassung scheuten sich auch nicht, die Bibel mit dem Zitat zu bemühen: »Macht euch die Erde untertan!« Die Menschen wurden als Produktionsfaktoren gesehen, wobei dabei die Meßlatte vor allem die Kosten waren. Unsere Vorfahren mußten damals noch an 6 Tagen in der Woche mindestens zehn Stunden arbeiten. Kinderarbeit gehörte zum täglichen Bild; Urlaub war so gut wie ein Fremdwort, und dabei mußten die Menschen in unserer Region trotz dieser harten Arbeit meist ein kümmerliches Dasein führen.
Solange Gehen für alle, die weder über Pferd noch Wagen verfügten (das Auto wurde damals gerade erst erfunden), ein hartes Muß war, bestand kaum der Anreiz, sich dieser Art der Fortbewegung zum Vergnügen zu unterziehen.
Erst die Ausdehnung der Fahrmöglichkeiten auf breitere Schichten, wie sie vor allem durch die Eisenbahn möglich wurde, ließ das Wandern für immer mehr Menschen nicht nur als Zwang, sondern als gesuchtes, bewußtes Naturerlebnis erscheinen.
Gerade die Förderung der Erholung der Bevölkerung stand ganz im Zentrum der Ziele dieser aufkommenden Bewegung. Daß auch nationales Gedankengut in dieser Bewegung eine große Rolle gespielt hat, läßt sich aus der Geschichte verstehen und findet seinen Ausdruck in dem Aufruf zur Gründung des Taunusclubs vor über hundert Jahren. Dort kann man lesen, daß die Liebe zur Natur der charakteristische Zug der Germanen sei. Und: diese tiefe Hinneigung zur Natur findet nicht nur ihren Ausdruck in unseren herrlichen Liedern und Dichtungen, sondern es ist auch das Wandern durch Wald und Flur, über Berg und Tal so in unser Fleisch und Blut übergegangen, daß es uns gewissermaßen zur zweiten Natur geworden ist. Und sie gelobten fürderhin, für das ganze teure und herrliche Vaterland zu dienen. Der nationale Gedanke hatte sich in dieser Zeit bis in breite Volksschichten hinein durchgesetzt. Es war das Bestreben, die Kleinstaaterei des Deutschen Bundes zu überwinden und zu einer nationalen staatlichen Lösung für alle Deutschen zu kommen. Aber die zentralen Ziele der Wanderbewegung waren:
»durch die Pflege des Wanderns, die Naturverbundenheit des Menschen zu fördern«
»durch Heimatpflege und Volksbrauchtum zu deren Erhaltung und Weiterverbreitung beizutragen«
Denn nur wer die Natur kennt, lernt sie zu achten, zu pflegen und zu erhalten. Und wie kann man sie besser beobachten, erkennen und erfahren, als sich wandernd durch sie hindurch zu bewegen.
Die Menschen wurden mobiler. Sie hatten erstmals die Chance, ihre karge auf den Sonntag begrenzte Freizeit außerhalb der Dörfer und Städte zu verbringen. Das nutzten vor allem die Menschen in den Städten. Sie wollten aus den Fabriken, aus ihren engen Behausungen heraus in die Natur. Es verwundert nicht, daß der Höhepunkt des Baus der Eisenbahnen im Deutschen Reich eben in jene Zeit fällt. Die jungen Wandervereine und Ortsgruppen mußten damals ihre Pionieraufgabe darin sehen, die Landschaft für das Wandern, oder mit dem heutigen Sprachgebrauch,
für den sanften Tourismus zu erschließen, Wanderwege anzulegen und zu kennzeichnen, mögliche Wanderwege zu erkunden und preiswerte Einkehrmöglichkeiten ausfindig zu machen oder selbst zu schaffen und verbilligte Eisenbahn-Fahrkarten zu besorgen.
Doch zurück zu den Anfängen des Schwäbischen Albvereins.
Am 12. November 1888 fand in Plochingen die konstituierende Versammlung des Albvereins statt. Anwesend waren die Verschönerungsvereine von Eningen/A., Eßlingen/N., Geislingen/St., Gmünd, Kirchheim/T., Metzingen, Neuffen, Nürtingen, Pfullingen, Reutlingen, Tübingen und Urach.
Die Ziele des Vereins wurden festgelegt, die von Dr. Salzmann entworfene Satzung diskutiert, ein Ausschuß gebildet, der diese Satzung endgültig beraten sollte. Diese Beratung fand noch vor Ende des Jahres 1888, nämlich am 21. Dezember statt. Dr. Valentin Salzmann war unermüdlich tätig, neue Mitglieder unter den Verschönerungsvereinen und Einzelpersonen zu werben. Am 22. 4. 1889 fand dann wieder in Plochingen die erste Sitzung des Ausschusses statt, an der Dr. Salzmann, Camerer und Bechtele aus Esslingen, Seeger/Urach und Dr. Wenz/Donzdorf teilnahmen.
Ernst Camerer |
Die erste Hauptversammlung wurde am 5. Mai 1889 in Plochingen abgehalten, ein Ausschuß gewählt, in dem jeder Verschönerungsverein einen Delegierten stellte und die Einzelmitglieder eine Anzahl von Vertretern zuwählten. Sie sollten allerdings nicht mehr als ein Drittel der Vertreter der Vereine umfassen. Behandelt wurden außerdem die Anträge auf Herausgabe eines Vereinsblattes und die Veranstaltung einer Festfahrt auf den Breitenstein am Himmelfahrtstag, dem 30. Mai 1889. Damit wurde eine Tradition begründet, die bis heute anhält. 18 Verschönerungsvereine traten zunächst bei, 6 Vertreter der Einzelmitglieder wurden in den Ausschuß gewählt. Es waren dies: Pfarrer Dr. Engel/Eislingen, Fabrikant Spittler/ Stuttgart, Oberreallehrer Maurer/Kirchheim/T., Fabrikant Keller/Pfullingen, Dr. med. Wenz/Donzdorf und Dr. med. Hopf/Plochingen.
Durch Zuruf wurde einstimmig als Vorsitzender Dr. med. Salzmann/ Esslingen gewählt, als Schriftführer und stellvertretender Vorstand Rechtsanwalt Camerer, als Rechner Ströhmfeld, beide ebenfalls aus Esslingen. Zum Schriftleiter wurde Professor Nägele aus Geislingen/Steige bestimmt.
Damit war die formelle Konstituierung des Albvereins abgeschlossen.
Die Entwicklung der Mitgliederzahlen zeigte in den folgenden Jahren einen rapiden Aufschwung: Von 519 Mitgliedern im Jahre nach der Gründung erfolgte eine Zunahme um 749 schon 1890, 1892 waren es 5.631, 1894 bereits 11.783 und zur Jahrhundertwende 1900: 23.137. Bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges gehörten über 40.000 Wanderfreundinnen und Wanderfreunde dem Albverein an. 692 Ortsgruppen hatten sich gebildet, eine rege Vereinstätigkeit war entstanden.
Gaue entstanden nach einem Vorschlag von Camerer aus dem Jahre 1892, vielfach schon seit 1894. Es handelte sich um den Nordostgau, Filsgau, Teck-Neuffen-Gau, Ems-Gau, Unterer Donau-Gau, Lichtenstein-Gau, Zoller-Gau, Donau-Brenz-Gau, Oberer Donau-Gau und Heuberg-Baar-Gau. Es ist daraus ersichtlich, daß zunächst der Bereich der Alb regional gegliedert werden sollte. Die Bildung der Ortsgruppen erfolgte nach den jeweiligen zweckmäßigen Bedürfnissen, also ohne Lenkung seitens der Vereinsleitung. Stuttgart und Ludwigsburg waren wohl die ersten selbständigen Ortsgruppen, natürlich bestanden daneben die »Urväter« des Albvereins in Gestalt der Verschönerungsvereine, die bereits genannt wurden. Aus den Vertrauensmannbezirken wurden also die Ortsgruppen.
So hat sich der Schwäbische Albverein aus kleinsten Anfängen heraus zum größten deutschen Wanderverein entwickelt.
Sonnwendfeier gab’s schon um 1900